Alte Vintage-Objektive haben neben dem bei der Benutzung experimentellem Vergnügen oft den Charme, dass sie charakteristische Darstellungsmerkmale besitzen. „Charakteristisch“ meint hier durchaus auch manchmal: fehlerhaft. Ein solcher „Makel“ kann zwar ein Foto einerseits schnell verderben, aber in bestimmten Fotosituationen jedoch auch das Bildergebnis erheblich interessanter machen. Es kommt also darauf an, bei welchen Gelegenheiten und für welche Aufgaben ein solches Vintage-Objektiv eingesetzt wird.
Leicht an modernen Kameras zu verwenden
Ein Beispiel dafür ist das „Zenit HELIOS 44M-4 1:2/58mm“ – ein russisches Objektiv, dass u.a. für den M42-Anschluss gebaut wurde. Für wenig Geld – ca. 30 bis 50 € – kann es z.B. bei ebay erworben werden. Auch Fotohändler, die mit gebrauchten Objektiven handeln, sind ein guter Anlaufpunkt. Mit einem entsprechenden Adapter kann es leicht an einer modernen DSLR oder Sysemkamera eingesetzt werden. Ich besitze es schon seit 2011 und habe es zu meinem Canon-Zeiten gelegentlich an einer Canon 40D, 1200D und 70D genutzt. Nun betreibe ich es mit einem günstigen Adapterring an meiner Olympus OM-D E-M5 Mark II. In den letzten Wochen habe ich das Objektiv und seine Stärken quasi neu für mich entdeckt.
Sieht gut aus …
An meiner Olympus sieht das HELIOS 44M-4 ürbigens trotz Adapterring aus, als sei es für diese Kamera gebaut. Der leichte Retro-Touch der Olympus geht hier von der Außenansicht quasi eine gelungene Symbiose mit dem alten Objektiv ein – und wirkt so wieder überraschend modern. Aber das ist natürlich Nebensache, schließlich kommt es auf die Fotos an. 🙂
Das Objektiv muss ich manuell fokussieren und einstellen, was mein Fotografieren deutlich entschleunigt – und andererseits für mich ein gutes Lernfeld bereithält.
… und macht starke Fotos!
Für welche Art Aufnahmen eignet sich nun das Vintage-Objektiv? Interessant ist dieses Objektiv meiner Meinung nach vor allem überall dort, wo es nicht auf superknackige Schärfe ankommt.
Die große Blende von 2 erlaubt zwar von den technischen Vorgaben her sowieso ein Spiel mit der Unschärfe, die Linse ist an sich jedoch nicht die schärfste Konstruktion: erst ab Blende 8 oder höher sind z.B. Landschaftsaufnahmen, die durchgängig einfach eine gewisse Schärfe aufweisen sollen, im Ergebnis zu gebrauchen. Größere Blenden sorgen besonders am Bildrand für unscharfe Verzerrungen.
Super für „makro-nahe“ Fotografie
Ich setze das Objektiv darum vor allem in der „makro-nahen“ Fotografie ein. Pflanzen und Blumen lassen sich damit hervorragend fotografieren, denn das Bokeh des HELIOS 44M-4 liefert hier schon fast impressionistische Bildergebnisse, die mich begeistern. Der Hintergrund verschmiert quasi in schöner Unschärfe – und mit deutlichem Unterschied zu einem modernen Objektiv, das für die Olympus gebaut und gänzlich auf diese Kamera technisch abgestimmt ist.
Um direkt diesen schönen Unterschied zu illustrieren, stelle ich im folgenden zwei Fotos direkt untereinander. Das obere ist bei Offenblende mit einem Olympus M.Zuiko Digital ED 60mm 1: 2.8 Macro – Objektiv aufgenommen. Das untere hingegen mit dem Zenit HELIOS 44M-4 1:2 58mm – ebenfalls bei Offenblende.
Beim Vergleichen der Foto fallen zwei Dinge auf. Trotz ähnlicher Blende ist der Schärfebereich des HELIOS deutlich kleiner. Und: das Bokeh, der Unschärfeeindruck ist deutlich chaotischer, ja „verwischter“. Welch schöne Effekte der Unschärfenverlauf des alten HELIOS gerade für Pflanzen-Portraits ermöglicht, zeigt auch sehr schön das oberste Foto (Artikelfoto), das für mich die Zartheit des Triebes sehr schön illustriert, während der Hintergrund fast schon bewegt erscheint. (Beim Foto selbst war es jedoch windstill.)
Und zum Schluss noch ein Foto, aufgenommen mit dem HELIOS auf einer Wiese in der näheren Umgebung im Abendlicht. Auch hier lohnt es sich, durch einen Klick auf das Foto, dieses in größerem Format anzuschauen. Die Wiese verschwimmt, ja vertaumelt regelrecht im Hintergrund, ohne vom Motiv abzulenken. Der Bildgesamteindruck ist für mich impressionistisch, drückt Zartheit und ineinanderwirbelnde Farben aus.
Ein weiterer Artikel wird sich in Zukunft sicher noch mit den Portraiteigenschaften dieses Vintage-Objektives beschäftigen.
Eines ist sicher: ausgelotet habe ich dieses Schätzchen sicher noch nicht!
Sehr gelungene Beschreibung der Eigenschaften des Helios Objektivs – danke! Ich besitze seit Kurzem exakt das gleiche Modell (mit M42/EOS Adapter an einer Canon 70D, ohne an einer alten Zenit ET) und bin von den Bokeh-Eigenschaften begeistert.
Danke für Deine Rückmeldung, Alexander!
Ergänzend zum Thema „Altglas“ an Olympus-/OMSystem- bzw. Canon-Kameras möchte ich noch auf zwei weitere Artikel von mir hinweisen:
https://berens.net/2024/03/pentacon-28-135mm-an-der-om-5/
und schon deutlich älter, aber immer noch „gültig“:
https://berens.net/2011/07/alte-objektive-wiederbelebt/